Blogbeitrag zum deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2021
von Maximilian Stübinger, Medizinstudent im Praktischen Jahr, Universitätsmedizin Göttingen
Im Rahmen meines Praktischen Jahres verbringe ich im Moment ein Tertial in der Psychosomatik und habe mich daher für ein digitales Kongressstipendium beworben. Das Kongressmotto 2021 lautete „Mind the Gap“. Dieses Motiv ist auch für meinen persönlichen Werdegang prägend, da ich während des Studiums in der Behandlung auf somatischen Stationen häufig mit Lücken zwischen der Versorgung der körperlichen Krankheit der Patienten und ihres psychischen Wohlbefindens konfrontiert wurde und in der Psychosomatik eine Lösung für dieses Problem sehe. Der Aufforderung „Achten sie auf die Lücke“ folgend waren die diesjährigen Vorträge geprägt von den Bemühungen der Referenten Brücken zu schlagen. In den folgenden Absätzen gehe ich auf einige Themengebiete des Kongresses ein, die sich mit Lücken in unserem Verständnis von Gesundheit und im Gesundheitssystem auseinandersetzen, welche mich besonders interessiert haben und beschäftigen.
Natur und Psyche
Die Natur war in diesem Kongress ein großes Thema. Eine Hauptveranstaltung befasste sich mit dem Klimawandel, dessen Folgen und der Rolle der Psychosomatik in der Konfrontation dieses gesamtgesellschaftlichen Problems. In einer anderen wurde der Zusammenhang zwischen Bäumen und Vogelgesang in der Umgebung der Wohnung und der Häufigkeit des Auftretens einer behandlungsdürftigen Depression erklärt. Ein weiterer Vortrag ging auf die positiven Effekte von Naturerfahrungen in der Psychotherapie ein.
Körper und Geist
Das Wissen über die Interaktionen zwischen Körper und Geist ist die Grundlage der Psychosomatik und in der Medizin von zentraler Bedeutung. Anregend fand ich unter anderem die Vorträge über die Psychokardiologie, die chronischen Schmerzstörungen und über die Problematik, ab wann ein Geisteszustand als psychisch krank gilt und wie subjektiv unterschiedlich diese Bewertung ausfallen kann.
Ökonomisierung der Medizin und Folgen für die Psychosomatik
Die Ökonomisierung des Gesundheitssystems erzeugt eine große Lücke zwischen Ärzten und Patienten. Der Vortrag zu dem Thema befasste sich mit dem Kontrast von Kranksein als emotionales, leidvolles Lebensereignis zur täglichen Arbeitsroutine im Klinikum. Die Entwicklung des Gesundheitssystems zu einem gewinnorientierten Sektor, die Auswahl ökonomisch günstiger Patienten und die kognitive Dissonanz zwischen marktrationalem Verhalten und professionellem Handeln bei Ärzten sind kontroverse Themen, mit denen sich der Referent beschäftigte.
Familien-, Kinder- und Jugendpsychosomatik
Der professionelle Umgang mit Kindern, Jugendlichen und Familien bedarf eigener Forschung und weist im klinischen Alltag außerhalb spezialisierter Zentren teils Lücken auf. Zu diesem Thema fand ich vor allem die Vorträge über Kinder alleinerziehender Eltern und psychisch kranker Eltern, Beschneidung bei Jungen und den Überblick über Funktion und Nutzen der seit 2020 zugelassenen systemischen Therapie interessant.
Kunst-, Sport- und Musiktherapie
Es wurde auch viel Wert darauf gelegt neben den Ärzten auch Experten anderer Berufsgruppen, die an der Behandlung psychosomatischer Patienten beteiligt sind, zu Wort kommen zu lassen. Vertreter von Kunst-, Sport- und Musiktherapie zeigten unter anderem Fallbeispiele und neue Forschungsergebnisse zum Einfluss der Therapien auf Selbsterfahrung, Bindung und Sicherheit, positive Selbstbeeinflussung und Bewältigungsstrategien.
Fazit
Die Brisanz und Aktualität der behandelten Themen zeigen sich meiner Meinung nach auch, wenn man den Zusammenhang zwischen Ökonomisierung, Zerstörung der Natur, Klimawandel und der psychischen Belastung in unserer Gesellschaft betrachtet. Das Bedürfnis nach einer ganzheitlichen Behandlung nicht nur der Patienten, sondern auch unserer Umwelt wurde auf dem Kongress verdeutlicht und ins Gedächtnis gerufen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich den Kongress mit vielen Erfahrungen und guten Eindrücken verlassen habe. Zusätzlich zum vermittelten Wissen konnte ich einen Überblick über die aktuelle psychosomatische Forschung, die Organisation der Psychosomatik-Community und die Forschungsgruppen erhalten. Interessante Vorträge, die ich nicht anschauen konnte, kann ich in den nächsten Monaten als Aufzeichnung nachholen.
Blogbeitrag zum deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 2021
von Maximilian Stübinger, Medizinstudent im Praktischen Jahr, Universitätsmedizin Göttingen