Mittwoch, Haus 59, Uniklinikum Dresden, Blockpraktikum in der VTG-Chirurgie. Gerade haben wir einen beginnend dementen Herrn nach Pankreasschwanzteilresektion untersucht. Jetzt ist noch Zeit sich vor dem Haus in die Sonne zu setzen, bevor es weiter geht mit dem Üben von laparoskopischen Techniken. „Wieso kannst du morgen nochmal nicht kommen?“ fragt meine Kommilitonin. „Ich fahre heute Mittag nach Berlin, um auf einem Psychosomatik Kongress meine Doktorarbeit vorzustellen“.
Meine Betreuerin hatte mir den Kongress vorgeschlagen und ich fand die Idee direkt interessant. Wie menschliches Denken und Handeln funktioniert, interessiert mich seit meiner Jugend. Ein Grund für meine Entscheidung zum Medizinstudium war, dass ich dachte, es handle sich um eine gute Mischung aus Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Und vor allem hatte ich Lust viel mit unterschiedlichen Menschen zu arbeiten, mehr als ihre Erkrankungen haben mich von Anfang an ihre Geschichten interessiert.
Dass meine Wunschvorstellung nicht ganz mit der Realität in der Medizin übereinstimmt, habe ich schnell gemerkt. Das Studium und die Mediziner:innenperspektive ist vor allem naturwissenschaftlich. Der Blick für die soziale Situation und die psychische Verfassung der Patienten und Patientinnen wird nicht bezahlt.
Montag, Haus 59, Uniklinikum Dresden, Blockpraktikum in der Neurochirurgie. Wieder stehen wir draußen in der Sonne und machen Pause. Gerade haben wir uns MRT-Bilder von Hirnmetastasen und Abszessen in der Wirbelsäule angesehen. Gleich werden uns die neurochirurgischen Instrumente gezeigt. „Was hast du am Wochenende gemacht?“ fragt ein Kommilitone. „Ich war noch in Berlin, letzte Woche war ich auf einem Psychosomatik Kongress.“ – „Ah! Da interessierst du dich also für?“ – „Ja! Es war wirklich spannend!“ Und dann bricht ein kleiner Redeschwall aus mir hervor. Erst über die Einführungsvorlesung von Gerd Kempermann, der zum Einfluss des Verhaltens eines Individuums auf das Fortschreiten einer dementiellen Erkrankung, und welche Faktoren dieses Verhalten beeinflussen, gesprochen hat. Danach über den eindrücklichen Vortrag von Felicia Boma Lazaridou, die sehr verständlich und mit einem schönen und gleichzeitig präzisen Englisch erklärt hat, wie sich die chronische Belastung durch Alltagsrassismus negativ auf die psychische Gesundheit auswirkt. Und von den beiden amerikanischen Professoren, Mark Solms und Richard Lane, die basierend auf neuen Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft darüber debattiert haben, mit welcher tiefenpsychologischen Strategie man Menschen am besten dabei helfen kann ein dysfunktionales Verhaltensmuster abzulegen.
Ich halte kurz inne und komme gedanklich wieder zurück zu den beiden, die mit mir in der Sonne stehen. Eine guckt auf ihr Handy und ich frage mich wie lange wohl schon. Der andere weiß nicht, was er sagen soll. „Was habt ihr denn am Wochenende gemacht“, frage ich.
Blogbeitrag von Anna von Olberg,
Medizinstudentin im 10. Semester, an der TU Dresden